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7.Kapitel
Maximilian wurde an der Rezeption des Bürogebäudes von einem jungen Mann empfangen und nach seinen Wünschen gefragt. Er stellte sich vor und wollte gerade sein Anliegen vorbringen, als sein Gegenüber schon den Telefonhörer nahm, eine Nummer wählte und der Person am anderen Ende der Leitung seine Ankunft mitteilte. Dann legte er wieder auf.
„Wenn Sie einen Moment dort Platz nehmen wollen“, er wies dabei auf eine etwas abseitsstehende Sitzgruppe, „Sie werden sofort abgeholt.“
Maximilian bedankte sich und ging zu einem der Sessel und nahm Platz. Gerade überlegte er, ob er sich eine der bereitliegenden Zeitschriften nehmen sollte, als er eine, ihm bekannte Dame aus dem Fahrstuhl kommen sah. Er stand auf und ging auf sie zu.
„Herr Drechsler, ich freue mich Sie wiederzusehen. Hatten Sie eine angenehme Anreise?“
Maria Schlegel lächelte ihm freundlich zu und Maximilian erwiderte genauso freundlich:
„Danke, ich bin überraschend gut durchgekommen.“
„Das ist sehr schön“, hörte er sie antworten und folgte ihrer auffordernden Geste, den Fahrstuhl zu betreten. Sie drückte den obersten der langen Reihe von Knöpfen und beide warteten schweigend auf das Schließen der Tür.
„Frank hatte mich gebeten, Sie zu empfangen“, erklärte sie ihre Anwesenheit, „er ist leider nicht im Hause.“
„Das ist schade“, antwortete Maximilian wahrheitsgemäß, denn er hatte sich tatsächlich darauf gefreut, ihn zu treffen. Das sagte er auch Maria und fragte: „Wenn Sie also sozusagen seine Rolle übernehmen, dann müssen sie heute Abend auch mit mir Essen gehen. So war der Plan.“
Sie lächelte wieder:
„Ihr Plan!“
Er lächelte zurück:
„Unser Plan!“
Sie wurde wieder ernst:
„Wir sollten erst einmal ihren Termin bei Dr. Vogel abwarten. Wer weiß, ob Sie dann überhaupt noch Lust haben, irgendwohin zu gehen.“
Sein Instinkt riet ihm, ihre Worte besser nicht zu hinterfragen. In der obersten Etage angekommen, führte Maria ihn zu einer Tür, an der lediglich „Privat“ stand.
„Hier residiert ihr Dr. Vogel“, fragte Maximilian erstaunt.
„Nein. Sein Büro ist nicht in diesem Stockwerk, aber er bedient sich manchmal dieses Raumes als Besprechungszimmer.“
Er nahm es kommentarlos zur Kenntnis. Maria klopfte an, öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten, die Tür und trat zur Seite.
„Herr Dr. Vogel, Herr Drechsler für Sie.“
Mit einem Nicken forderte sie Maximilian auf, einzutreten. Er machte ein paar Schritte in den Raum, blieb dann aber überrascht stehen. Zwei der Wände waren vollständig aus Glas, hinter dem sich ihm ein atemberaubender Blick auf den Taunus bot.
„Nicht schlecht“, rutschte ihm heraus.
Der Mann, der ihn in der Mitte des Zimmers erwartete, lächelte. Er wusste genau, warum er Besucher gerne hier empfing. Bisher hatte er damit noch immer Eindruck machen können.
Maximilian hörte hinter sich die Tür schließen. Maria war gegangen. Sein Gastgeber bestätigte formell, der erwartete Dr. Vogel zu sein und bat ihn, in einem der Sessel, die um einen kleinen Couchtisch gruppiert waren, Platz zunehmen.
„Was darf ich ihnen anbieten“, fragte er Maximilian, „Kaffee, Tee oder lieber etwas kaltes.“
Er deutete dabei auf die bereitgestellten Getränke. Maximilian entschied sich für einen Kaffee.
Vogel schenkte zwei Tassen ein und nachdem er auch die Milch plus Zucker Frage geklärt hatte, lehnte er sich in seinem Sessel
zurück und betrachtete seinen Gast. Eine Weile sagten beide Männer nichts. Sie taten so, als ob der Kaffee ihre ganze Aufmerksamkeit benötigte. Dann, als ob es nun genug sei mit dem Spiel, stellte Vogel seine Tasse ab und fragte:
„Sie haben also Interesse an uns?“
Maximilian musste dieser Eröffnung wegen lächeln.
„Wenn Sie es so formulieren wollen.“
Er wurde wieder ernst und fuhr fort:
„Aber ja, Sie haben recht. Ich interessiere mich für SALUS.“
„Warum?“
„Warum? Kurz gesagt, weil die Idee, die sie verfolgen, mich fasziniert.“
Jetzt war es Vogel, der lächelte.
Er antwortete nicht sofort, sah Maximilian nur an. Dann fragte er:
„Was wissen Sie bisher über uns?“
„Dass Sie kein Geld scheuen, rund um den Erdball unterprivilegierten Völkern Wohlstand in Form von Hilfe zur Selbsthilfe zu liefern, um über diesen Weg das weitere Bevölkerungswachstum auf unserer Erde zu stoppen und so das Überleben der Menschheit zu sichern.“
Wieder zeigte Vogel ein Lächeln.
„Ich habe selten eine treffendere, schon gar nicht so konzentrierte Definition unseres Anspruchs vernommen.“
Er stellte seine Tasse auf dem Tisch ab und fragte:
„Und was ist daran nicht klar?“
Auch Maximilian stellte seine Tasse zurück.
„Zwei Dinge interessieren mich besonders: Die bisherige Erfolgsbilanz und die Finanzierung des Ganzen.“
„Sie sind Geschäftsmann.“
Das war weder eine Frage noch eine Feststellung, er schien sich einfach nur daran zu erinnern. Maximilian zog es vor, zu warten.
„Nun“ begann Vogel zu erklären, „die SALUS gibt es jetzt schon seit fast zwanzig Jahren, wobei ich zugeben muss, dass wir
erst in letzter Zeit wirklich vorangekommen sind. Mittlerweile haben wir in einigen Regionen erreicht, dass die Bewohner mehr oder weniger autark sind. Sie stehen auf eigenen Füßen, bereit, ihren Lebensstandard ständig weiterzuentwickeln. Daraus entstehen Nachfolgeprojekte, zum Beispiel in den Nachbarregionen, so dass wir permanent unsere Einflusssphären erweitern.“
So könnte er es auch auf Hochglanzpapier herausbringen, dachte Maximilian belustigt.
„Das ist wirklich bewundernswert, aber Sie beschreiben doch eigentlich den Weg und nicht das Ziel. Ich habe ihre Ambitionen so verstanden, dass die Entwicklung der Geburtenzahlen der Maßstab des Erfolges ist. Und genau das ist es, was mich interessiert: Funktioniert das tatsächlich? Kann man Entwicklungen kopieren?“
Wieder dauerte es einen Moment, bis Vogel antwortete.
„Sie waren doch, wenn ich mich recht erinnere, bei den Massai. Dort haben Sie doch gesehen, was wir bewirken.“
Maximilian ignorierte Vogels misstrauischen Blick und antwortete:
„Das habe ich und ich gebe offen zu, ich war und bin über das, was Sie dort tun, begeistert. Ich denke grundsätzlich wie Sie, dass dieser Weg, den Völkern die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung zu geben, der richtige ist. Ob dieser Weg aber tatsächlich zu den gesellschaftlichen Veränderungen führt, die am Ende eine Ein-Kind-Ehe als erstrebenswertes Ziel haben, wird man sehen müssen. Ich hatte in Kenia nicht den Eindruck, dass die Massai sich in dieser Beziehung bewegen.“
Er musste an Muniras Worte denken: „Ich habe nur ein Kind bekommen, darum hat mich mein Mann verstoßen.“
Dr. Vogel schien über seine Antwort nachzudenken.
„In anderen Ländern, in Indien zum Beispiel oder in einigen Ländern Südamerikas sind wir tatsächlich wesentlich weiter. Dort läuft unser Programm aber auch schon länger. Die Kinderzahl pro Familie ist dort fast schon auf europäischem Niveau.
Grundsätzlich mögen Sie recht haben, dass der gesamte Prozess Zeit braucht, vielleicht mehr, als wir immer zu akzeptieren bereit sind. Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass die meisten unserer Partner seit Jahrhunderten nach Traditionen leben, die von ihnen nicht innerhalb einer Generation einfach über Bord geworfen werden.“
Das musste Maximilian zugeben. Wieder hatte er Munira vor Augen, wie Sie begonnen hatte, ihre Haare wachsen zu lassen, als er erwiderte:
„Ich denke, der wichtigste Faktor sind die Frauen. Erhöht sich ihr Einfluss in der Gesellschaft, bestehen berechtigte Hoffnungen auf Erfolg. Im Grunde war es bei uns doch auch nicht anders. Mit der Entwicklung der Frauenbewegung, der Durchsetzung der Frauenrechte, der berufstätigen Frau mit Karriereambitionen und so weiter hat sich auch die Mutter-Rolle verändert. Kind ja, aber nicht mehr zwölf, sondern eins, vielleicht auch zwei.“
„So ist es“, bestätigte Vogel. „Wir leiten also eigentlich nur einen Beschleunigungsprozess.“
Ihm schien dieser Gedanke selbst neu zu sein, aber er gefiel ihm.
„Aber“, fragte Maximilian jetzt, „warum wirken Sie nicht mehr darauf hin, dass ihre Partner, wie Sie sie nennen, sich von ihren Traditionen trennen. Ich denke beispielsweise an die fürchterlichen Beschneidungen. Das wäre doch ein riesiger Schritt in Richtung Selbstbestimmung der Frauen, oder nicht?“
Es war offensichtlich, dass Vogel auf solche Fragen vorbereitet war.
„Erpressung ist nicht Bestandteil unserer Firmenphilosophie.“ Das klang recht pathetisch im Maximilians Ohren. Vogel fuhr fort:
„Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, wir hätten Möglichkeiten. Wir könnten unsere Unterstützungen von Handlungen abhängig machen. Aber wie nachhaltig wäre denn ein solcher erzwungener Schritt. Bleiben wir bei den Massai. Es ist bei ihnen Tradition, dass zum Akt des Mann-werdens die Jagd auf einen Löwen
gehört. Seit Jahren ist ihnen das verboten. Sie haben das nie verstanden, nie akzeptiert, also tun sie es weiter, gehen dafür auch ins Gefängnis.“
Maximilian konnte sich dieser Argumentationen nicht ganz entziehen, wenn er es auch nicht für richtig hielt, es gar nicht erst zu versuchen. Trotzdem beließ er es erst einmal dabei. Ihm brannte eine andere Frage auf der Seele.
„Da mögen Sie recht haben, aber die Zeitfrage ist doch auch eine finanzielle Frage. Umso länger es dauert, umso höher sind die Kosten. Oder haben Sie ein Limit, an dem Sie sich zurückziehen?“
„Nein.“
Da Dr. Vogel keine Anstalten machte, mehr dazu zu sagen, fragte Maximilian weiter:
„Sie liefern ohne Limit und Sie erhalten keinerlei Bezahlung. Wo, bitte schön, ist hier das Geschäft?“
Dr. Vogel schaute Maximilian mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. Er schien zu überlegen, wie er das Gespräch weiterführen sollte. Dann gab er sich erkennbar einen Ruck:
„Es geht nicht ums Geschäft.“
Maximilian wurde ungeduldig.
„Das habe ich ja verstanden“, erwiderte er, „trotzdem müssen ihre Wunder bezahlt werden.“
Vogel stand auf, ging zu einer Anrichte und entnahm einer Schublade ein Blatt Papier. Er reichte es Maximilian:
„Ich möchte, dass Sie dies hier unterschreiben.“
Maximilian überflog das Dokument. Es war eine Vertraulichkeitsvereinbarung und er erkannte sofort das Besondere des Textes: Es fehlte sämtliches Kleingedrucktes. In ungewöhnlich kurzen Sätzen stand da, dass er sich zur Verschwiegenheit gegenüber Dritten, egal ob privat oder öffentlich, verpflichtete.
Maximilian sah zu Vogel und fragte:
„Was gibt ihnen die Sicherheit, dass ich nicht trotzdem darüber spreche? Sie wissen doch, dass das hier juristisch anfechtbar ist.“
Vogel lächelte süffisant.
„Uns geht es nicht um Juristerei. Wir würden niemals mit so einem Thema an die Öffentlichkeit gehen.“
Maximilian sah ihn verwirrt an.
„Was soll das dann?“
„Es geht uns um Vertrauen. Für uns gibt es nur zwei Kategorien. Du bist entweder im Kreis oder außerhalb. Denen im Kreis vertrauen wir und glauben Sie mir, wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Sie können sich jetzt entscheiden.“
Maximilian begann zu verstehen.
„Das heißt, wenn ich das nicht unterschreibe, mich also nicht eindeutig zu SALUS bekenne, werden Sie mir nichts mehr sagen?“
Vogel nickte.
„Aber wenn ich unterschreibe, beantworten Sie meine Fragen?“
Vogel nickte wieder.
„Und ich habe auch dann keine weiteren Verpflichtungen?“
„So ist es.“
Vogel lehnte sich in seinen Sessel zurück und wartete auf Maximilians Reaktion. Der musste an Jans Warnung denken, nicht gleich irgendetwas zu unterschreiben. Andererseits war er in einer Sackgasse angekommen. Er war sich sicher, dass Vogel kein weiteres Wort mehr sagen würde, ohne diesen unterschriebenen Wisch in den Händen. Wahrscheinlich war das eine der Regeln in diesem Verein.
Maximilian sah noch einmal auf den Text. Er verpflichtete sich darin, jegliche Information, die nicht von SALUS selbst veröffentlicht worden ist, für sich zu behalten. Plötzlich begriff er, warum Vogel gerade jetzt damit kam. Er hatte geschickt gewartet, bis seine Neugier groß genug war.
„Also gut“, sagte er kurzentschlossen. „ich unterschreibe.“
Während er seine Unterschrift unter das Dokument setzte, fragte er:
„Bekomme ich eine Kopie?“
Vogel nahm es entgegen und antwortete:
„Sie werden es auch ohne immer im Gedächtnis behalten, glauben Sie mir.“
Lächelnd brachte er das Papier zurück in die Schublade und setzte sich wieder in seinen Sessel.
Er wurde wieder ernst, dann fragte er:
„Haben Sie schon einmal von einer Frau namens MacKenzie Bezos gehört?“
Maximilian überlegte. Ihm war so, als käme ihm der Name bekannt vor, wusste ihn aber nicht zuzuordnen.
„Sie ist eine Schriftstellerin und Philanthropin und hat eine Leidenschaft für Anti-Mobbing-Kampagnen.“
Die Erklärung brachte ihn auch nicht weiter.
„1993 heiratete sie den reichsten Mann der Welt, den Amazon-Gründer Jeff Bezos. Damals waren sie das reichste Paar der Welt und hatten zusammen ein Vermögen von knapp 114 Milliarden US-Dollar.“
Ja natürlich, Bezos.
Maximilian fand das zugegebener Maßen interessant, wartete aber immer noch auf seine Antwort.
„Die beiden genießen ihr Vermögen und werden am Ende ihrer Reise jeder für sich erkennen müssen, dass sie es nicht schaffen konnten, es auszugeben.“
Vogel sah, dass Maximilian etwas fragen wollte und hob seine Hand.
„Es gibt aber auch Menschen mit ähnlichen Problemen“, fuhr er in lockeren Plauderton fort, „die verstanden haben, dass ihr Reichtum eine Verpflichtung gegenüber den Menschen ist und dieser Verpflichtung nachkommen.“

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